Mittwoch, 11. Juli 2012

Alles im Griff!

Früher liebte ich die Geschichten von Gesetzlosen, von Rebellen und Wegelagerern. Robin Hood, Dick Turpin, Curro Jiménez, der andalusische Rebell – hach! Da ging mir mein kindliches Herz auf. Fallen stellen, im Dunkeln lauern, von Bäumen springen, um gut betuchten Schnöseln das Geld abzunehmen und es dann unter den Armen zu verteilen. Wie romantisch! Gestern Nacht nun wurde ich erstmals Opfer eines Raubüberfalls. Eher nicht so romantisch.

Was war geschehen? Nun, ich verbrachte zunächst einen launigen Abend mit Freunden, trank das ein oder andere Bier, am Ende waren es viele und ich ordentlich dun. So gegen 1 Uhr machte ich mich beschwingt auf den Heimweg und bog alsbald, nach Bahnritt und kurzem Fußmarsch, in meine Straße ein. Es ist eine recht schöne Straße. Altbauten, viele denkmalgeschützte Häuser, in denen überwiegend Pädagogen, Professoren und Yoga-Lehrerinnen zuhause sind. Die Haustür schon in Blickweite griff ich nach meinem Handy, um nach der Uhrzeit zu schauen. So weit kam es jedoch nicht mehr, denn jemand packte mich plötzlich von hinten, nahm mich gekonnt in den Würgegriff und drückte mich zu Boden. Ich nahm zwei weitere finst're Buben wahr, die plötzlich aus der Dunkelheit auf mich zu schnellten. Was dann geschah, dauerte vermutlich 20 Sekunden, vielleicht waren's auch 2 Minuten oder 20, ich kann es nicht seriös einschätzen. Hatte der Alkohol meinen Sinn für Zeit und Raum nicht schon hinreichend getrübt, dann war es jetzt der Arm, der mir den Hals umschlang und mir die Luft nahm. „Gib dein Geld! Wo ist dein Geld?!“, sprach jemand energisch in mein rechtes Ohr. Wo mein Geld war? In der Kneipe natürlich. Ich war komplett blank. Bis auf ein paar Cent in der Hosentasche. Die wollte ich ihm aber auch nicht ernsthaft anbieten. Ich versuchte zu antworten, ging aber nicht, weil ich nicht sprechen konnte. Der Gangster wiederholte seine Aufforderung, sah dann wohl aber selbst ein, dass so niemals ein Gespräch zustande kommen würde, und lockerte leicht seinen Griff. Ich bekam wieder Luft und antwortete auf seine erneute Frage, wo denn mein Geld wäre, röchelnd: „Ich hab kein Geld...“. Damit hatte ich ihm zwar wahrheitsgemäß Auskunft über den aktuellen Stand meines Barvermögens erteilt, jedoch gefiel ihm diese Wahrheit offenkundig nicht. Er drückte wieder fester zu und mich weiter auf den Boden. „Wo ist dein Geld?!“, wiederholte er abermals energisch. „...rechte Hosentasche...“ röchelte ich. Flugs machten sich seine Kollegen daran, meine Taschen zu durchsuchen. Ein paar Münzen fielen klimpernd auf den Fußweg, der Eine sammelte sie auf, der Andere wühlte derweil in der linken Tasche. Dann ließ mich der Würger los und die Drei machten sich aus dem Staub. Der Eine warf netterweise noch meinen Haustürschlüssel auf die Straße. „Geh nach Hause.“, sagte er verächtlich, bevor er mit den anderen in der Dunkelheit verschwand. Ja, danke, du Vogel, das hatte ich ursprünglich vor.

Da saß ich also nun. Ich schnaufte durch und fragte still in mich hinein, was da wohl eben grad passiert war. Schnell ging ich im Gedanken die möglichen Verluste durch: das Kleingeld, okay,
sei's drum. Das Handy, das ich ja in der Hand gehalten hatte, war im Zuge der Überwältigung quasi unter mich gefallen, und damit in Sicherheit. Meinen Schlüssel sah ich ein paar Meter von mir entfernt im Licht der Straßenlaterne glitzern. Alles klar. Nichts passiert, Stefan, ein ganz schöner Schreck war das, aber es ist ja noch mal gut gegangen. Und dann schoss es mir durch den Kopf: Mein iPod!!! NEEEEEIIIIIIIN! Während der eine Primat 10Cent-Stücke aufsammelte, hatte der andere mir meinen iPod aus der Tasche gezogen, die Kopfhörer gleich mit. Nochmal: NEEEEIIIIN! Nicht. Mein. Ipod! Ich spürte, wie der Schrecken der Wut wich, die rasant in mir aufstieg. Diese kleinen Pisser, die offenkundig zu blöd waren, sich finanziell attraktive Opfer zu suchen, hatten meinen iPod gestohlen! Ich stand auf, ging zu meinem Schlüssel, hob ihn auf – und dann rannte ich los in die Richtung, in welche die Drei verschwunden waren. Keine Ahnung, was ich genau vor hatte. Doch, ich weiß: ich wollte meinen iPod wieder. Ich wollte diese Vollidioten einholen und sie auffordern, mir meinen iPod wiederzugeben. Ich weiß, so was soll man nicht machen, Verbrechern hinterher laufen. Stattdessen soll man froh sein, glimpflich davongekommen zu sein, die Polizei rufen und ins Bett gehen. Auf die Idee, die Polizei zu rufen, kam ich mal gleich gar nicht. Offenbar steht es nicht so gut um meine Meinung über unsere Ordungshüter.

Ich lief also durch die Straßen und versuchte irgendwo drei Gestalten zu erspähen. (Liebe Kinder, das war extrem unvernünftig, nicht nachmachen.) Ich dachte nicht daran, was ich nun exakt tun wollte, würde ich sie finden. Auch kam mir nicht der Gedanke, dass ich vermutlich gar nicht die Mittel hätte, sie zur Herausgabe meines Eigentums zu bringen. Ich war einfach nur stinksauer! In diesem Moment entlud sich alle Wut, die sich in den letzten Jahren aufgestaut hatte. Die Wut auf all die Idioten, die Amateure, die Schwachköpfe, die Sackgesichter, die Verderbten, die Vollspaten, die Möchtegerne, die Intriganten, die Profigierigen, die Käuflichen, die Lügner, die Selbstherrlichen, die Großmäuler, die Ahnungslosen und die Nasskappen, mit denen unsere schöne Erde so reichlich bestückt ist. Es grollte und wütete in mir, mein Puls raste, meine Kiefer knirschten. Straße für Straße lief ich ab, auf der Suche nach dem Konflikt und der womöglich ersten zünftigen Prügelei meines Lebens, die ich fraglos verloren hätte. Daran dachte ich aber nicht. Wenn meine Vernunft nicht noch am Tresen hing, dann lag sie im Rinnsteig. Ich lief und lief – und dann sah ich die Buben etwa 50 Meter vor mir! Wie tollwütig rannte ich ihnen nach. Als sie meine Schritte hörten, war es schon zu spät: Dem Ersten sprang ich mit gestrecktem Fuß ins Genick, dem Zweiten brach ich mit meinem Ellenbogen das Nasenbein und dem Dritten riss ich sein verkommenes Herz aus der Brust. Dann nahm ich meinen iPod, ging heim, duschte und schlief wie ein Baby.

Fast.

Ich fand sie natürlich nicht. Ich suchte sicher eine Stunde lang, aber nix war's. VERDAMMT!, dachte ich heut Nacht. Zum Glück, muss man wohl heute sagen. Ich ging heim, betrunken und unter Schock. Meine Herzdame lag lesend im Bett, als ich das Schlafzimmer betrat und ihr sogleich das Geschehen skizziert. Dabei rannen Tränen der Wut Schwall um Schwall über meine Wangen. Natürlich hatte sie recht: mir war Gottseidank nichts passiert, es ging mir gut, und das wäre ja wohl das Wichtigste. Sie drückte und tröstete mich. Es wäre ja nur ein iPod, sie würde mir einen neuen schenken. Ganz langsam beruhigte ich mich. Aber nur gaaaaanz langsam. Immer wieder brach ein „Diese Fotzen haben meinen iPod geklaut!“ aus mir heraus. Dieses Schimpfwort benutze ich recht selten, wobei, in letzter Zeit doch leider immer öfter. Es lässt sich halt mit ordentlich Verve und Verachtung zwischen den Lippen herauspressen. Ich will mich dennoch bessern und beim nächsten Mal einen alternativen Ausdruck wählen. Es gibt da ja so vieles.

Mittlerweile war es kurz nach 2 Uhr. Ich ging in die Küche und briet mir ein Ei. Da, wo ich herkomme macht man das immer in Krisensituationen. Erstmal ein Ei. Quatschnatürlich. Ich hatte Hunger und war betrunken, da gibt's nun mal Bratei. Also briet und aß ich. Dann kam mir die Idee, die Polizei zu informieren. Sollten die Typen noch da draußen rumlaufen, würde vielleicht noch jemand anders ihr Opfer. Das wollte ich nicht. Ich rief also auf der Wache an, erzählte, was geschehen war. Alle Daten wurden aufgenommen, ich solle dann mal am nächsten Tag unbedingt Anzeige erstatten, das wäre ja nun keine Lappalie, sondern „schwerer Raub“. Alles klar, wird gemacht. Grad war ich im Begriff, mein geschundenes Haupt niederzubetten, als es an der Tür klingelte.

Zwei nette Polizeibeamten, der eine jung, der andere älter, erzählten mir, dass soeben drei Verdächtige im Zusammenhang mit einer anderen Tat gleich in der Nähe dingfest gemacht werden konnten. Man wolle doch jetzt mal feststellen, ob es vermutlich dieselben waren. Ich erzählte, was passiert war, die Jungs telefonierten mit der Dienststelle, ja, das könnten sie wohl sein, man müsse schauen, der Eine hat sie gewürgt, aha...soso...na dann ist ja vielleicht noch seine DNA an ihrem Körper – müssen sie morgen arbeiten? Achnein, wie praktisch. Würde es ihnen etwas ausmachen, uns zur Wache zu begleiten? Nein, wie schön, dann mal los. Meine Jacke, die ich zum Zeitpunkt des Überfalls trug, steckten sie zwecks Spurensicherung in eine Mülltüte. Ich warf mir rasch etwas über und fuhr dann mit den beiden wirklich, wirklich netten Herrn Polizisten durch die Nacht.

Das neue Polizeiamt Köln-Deutz macht so in der Dunkelheit richtig was her. Von außen zumindest. Drinnen sieht's aus wie wohl jedes Amt. Kahle Wände, am Tintenstrahler ausgedruckte Wegweiser und Türbeschriftungen, grelles Licht, sparsam eingerichtete Büros mit Computertechnik aus der Zeit des kalten Krieges. Meine Begleiter verabschiedeten sich ausgesprochen höflich von mir und übergaben mich in die Obhut des diensthabenden Herrn Kriminalhauptkommissar. Auch dieser entpuppte sich schnell als sympathisch, verständnis- und sogar humorvoll. Was war nur los? Was waren die denn alle so nett? Ich war mir doch schon lange sicher, dass alle Polizisten doof sind? Da wird doch heut Nacht nicht etwa ein mühevoll aufgebautes Vorurteil ins Wanken geraten, hmm? Ich erzählte ihm meine Geschichte, das heißt, falsch! Ich wurde verhört! Ja, tatsächlich, ICH wurde verhört. Wie aufregend! Ich ließ mich also gern verhören, erzählte ihm auf Nachfrage, dass ich eigentlich nur etwas Kleingeld und meinen iPod vermissen würde. Das mit dem Kleingeld würde wohl nichts mehr werden, meinte er, aber bei den drei im anderen Fall Tatverdächtigen hätte man unter Umständen ein digitales Musikabspielgerät sichergestellt, genau könne man das jetzt aber noch nicht sagen. Ob mein iPod sich denn durch irgendeine Besonderheit auszeichnen würde. Oh ja, natürlich, das tut er, sagte ich: es ist außerordentlich gute Musik drauf! Der KHK lachte und meinte, dass das ja wohl jeder behaupten würde. Ob ich vielleicht präziser werden könne. Hmm...wo anfangen!!! Schließlich trug ich so viel Musik mit mir herum, die sonst niemand auf einem iPod hat.

Okay, an der Stelle hätte ich die ganze Sache auch abkürzen können. Es gibt da mindestens einen Titel, den sonst kein erwachsener Mann auf seinem iPod hat. Frauen mittleren Alters vielleicht, aber die haben ihn nicht digital, sondern auf Vinyl oder Kassette. Sollte ich ein Geständnis ablegen? Immerhin war das ein Verhör. Auf der anderen Seite wollte ich aber auch niemanden gegen mich aufbringen und die Nacht in der Zelle verbringen, auf dass ich wieder zur Vernunft käme. Nein, ich beschloss: KEIN Sterbenswort über „Guilty“ von Barbra Streisand & Robin Gibb . Es musste doch auch anders gehen. Und ging es. Wenige Stunden zuvor hatte ich mein Pödchen mit dem brandneuen Album von Frank Ocean bestückt, erzählte ich. Und es gäbe unter anderem eine Playlist mit dem Titel „Sommer Musik hören?!“. Das fand der KHK eine ganz entzückende Idee! Er erzählte, kurz nach der Trennung von seiner Frau hätte er sich auch eine Playlist mit aggressiver Musik zusammengestellt und dieser den Namen „Blöde Schlampe!“ gegeben. Ach, ich mochte ihn. Wir plauderten, er schrieb seinen Bericht und zwischendurch gab ich eine Speichelprobe ab. Für den DNA-Test. Mund auf, Wattestäbchen rein, kurz innen an der Backe gerieben – so einfach wie aufregend. Gut, nun weiß ich nicht, inwieweit so eine DNA in einer durch Alkohol stark angegriffenen Mundflora überlebt. Kann also sein, dass die da nur Spuren von SanMiguel und Brandy finden.

Während ich so saß und mich gut unterhalten fühlte, ploppten immer mal wieder Meldungen über die gefassten Ganoven ins Zimmer. Man hätte sie in der Polizeiwache Ehrenfeld in Gewahrsam genommen. Dort befände sich nun auch ein iPod, den es zu identifizieren galt. Juhu! Der Herr Hauptkommissar, mit dem ich offensichtlich eine Leidenschaft für Musik und Wortspiele teilte, bremste zunächst meine Hoffnung, mein Eigentum direkt mit nach Hause nehmen zu können. Das Ganze müsse gern mal noch ein paar Tage geprüft und abgewickelt werden. Sei's drum.

Auf dem Weg durch den Flur nahm der KHK noch die Brötchenbestellung seiner Kollegen entgegen, wir bestiegen seinen Dienstwagen und cruisten nach Ehrenfeld. Dort in der Wache waren zwei Beamten schon eifrig mit dem Fall beschäftigt. Auf einem Tisch in der Mitte ihres Büro lagen zwei Geldbörsen, eine Packung Zigaretten, ein Feuerzeug, eine Knarre – und mein iPod plus Kopfhörer. Das gehörte mir, der Rest den Ganoven. Zielsicher identifizierte ich mein Eigentum. Der Kriminalhauptkommissar hatte mich ja gewarnt, es würde vermutlich noch mindestens einen Tag dauern, bis ich es zurück bekäme. Man müsse den Räuber erstmal fragen, ob er mit der Herausgabe einverstanden sei. Ja klar! Natürlich muss man den fragen, ob ICH MEINEN iPod wiederkriegen darf. Aber was soll's, Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Der Kriminalhauptkommissar muss gesehen oder gespürt haben, wie traurig es mich machte, meinen iPod dort neben einer Knarre liegen zu sehen und ihn nicht an meine Brust drücken zu können. „Wo sitzt der Hauptverdächtige?“, fragte er seinen Kollegen. „Zelle 2.“ - „Okay, ich geh mal rein.“ Mein Herz hüpfte kurz. Der KHK würde dem Bösewicht schon eine Einverständniserklärung abringen, da war ich sicher! „Liebe Grüße!“, gab ich ihm mit auf den Weg.

Während er den Täter vernahm, plauderte ich mit den anderen Beamten. Dass wohl in letzter Zeit öfter was los wäre, gerade iPod und iPhone wären recht beliebt, und nur sehr, sehr, sehr selten bekäme man sie wieder. Eigentlich nie. Nun, dann war ich eben die Ausnahme. Sehr, sehr, sehr gern.

Nach einiger Zeit betrat der Kriminalhauptkommissar das Büro, gab sein Okay und mir meinen iPod. YEAH! Da war er und alles war gut gegangen. Ich bedanke mich ca. 800 Mal bei meinem neuen Freund. Ich werd ihm wohl zum Dank mal was ins Büro schicken. Vielleicht eine Playlist. Oder Blumen. Is ja so trostlos da alles.

So. Das war die letzte Nacht. Unterm Strich bleibt also der Verlust von vielleicht 1,30 Euro. Auf keinen Fall mehr als 2 Euro, weil: sonst hätte ich mir davon wohl noch ein Bier gekauft. Dann wäre ich länger in der Kneipe gewesen und all das wäre vermutlich nicht passiert.

   Was lernen wir daraus:
  1. Alkohol ist treuer Freund und Beschützer.
  2. In der Kneipe ist es immer noch am sichersten.
  3. Versauf lieber all dein Geld, als dass es dir Vollidioten klauen und sich davon Klingeltöne und Bubble Tea kaufen.
  4. Polizisten sind auch richtig nette Menschen, die einen guten Job machen.

    Dass die Welt voll ist von Bekloppten und Bescheuerten, das wusst' ich schon vorher. Dafür hätt' ich euch drei nich gebraucht, ihr Fotzen! Uupsi...

2 Kommentare:

  1. Schönes Ding! Aber Deine Mütze haben sie Dir gelassen?

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  2. Hätte ich meine Glücksmütze getragen, hätten die Buben sicher nicht mal gewagt mich anzusprechen! Wurden übrigens später festgenommen, weil sie 2 Typen ne Straße weiter verprügelt haben. Ging wohl um ne bereits angebissene Flasche Pils. Für 1,30€ und Flaschenpfand ne Anzeige am Hals. Das nenn ich mal ordentlich dumm.

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